Von Heinz Zufall
Erfurt. Die Andreasstraße lässt sich bis in das Jahr 1322 nachweisen. Sie tritt als plataea apud sa. Andream aus dem Dunkel der Geschichte und gibt sogleich einen Hinweis auf den Namensgeber: die Andreaskirche, die wiederum nach dem Apostel Andreas benannt wurde.
Die Andreaskirche ist von jeher eine Pfarrkirche und wurde bereits 1182 erstmals erwähnt. Sie weist keinen einheitlichen Baustil auf. Vom romanischen Bau haben sich nur wenige Teile erhalten. Der jetzige Bau stammt teilweise aus dem Jahr 1203, wie aus der Inschrift eines Steines in der Mauer und aus der Überschrift des Bildes über der großen Kirchentür hervorgeht. Das über dem Südportal befindliche Kreuzigungsrelief und die seitlich des Portals angebrachten Apostelfiguren Petrus und Andreas stammen aus der Bauperiode um 1370 und wurden 1432 von der Westwand nach dort versetzt. Das Kreuzigungsrelief und die Apostelfiguren werden dem Meister des Severi-Sarkophages zugeschrieben.
Die Kirche gab auch einem ganzen Stadtviertel, dem Andreasviertel, seinen Namen. Die Andreasstraße begrenzte dieses Viertel nach Westen.
1399 wurde aufgrund eines päpstlichen Erlasses die Kirche dem Benediktiner-Nonnenkloster auf dem Cyriaksberg inkorporiert, unter deren Patronat sie bis 1687 blieb.
Bei dem Stadtbrand von 1416 brannte die Andreaskirche zusammen mit der benachbarten Georgskirche und der Servatiuskirche teilweise ab, wurde dabei aber offensichtlich nicht so schwer beschädigt. Bereits 1418 erteilt der erzbischöfliche Mainzische Vikar, Heinrich Bischof von Adrinus, einen Ablass für die wiederhergestellte Kirche.
Bei dem großen Stadtbrand von 1472 wurden nur die Pfarrhäuser, nicht aber die Kirche zerstört.
Um 1480 musste die Nonnen des Cyriaksklosters zum zweiten mal den Sitz ihres Konvents verlegen. Ursprünglich waren sie ja neben der Severikirche ansässig, musste dann aber zugunsten des Erzbischofs auf den Cyriaksberg umsiedeln, während jener sich seine „Krummburg“ genannte Behausung auf dem Hof der Severikirche einrichtete. Am Ende des 15. Jahrhunderts aber beabsichtigten die Bürger der Stadt, auf dem Cyriaksberg eine Zitadelle zu errichten, um die Stadt bei feindlichen Angriffen besser verteidigen zu können. Deshalb mussten die Nonnen nun also erneut umziehen und wurden auf den Schusterberg verlegt. Der Schusterberg war ein kleiner Nebenhang des Petersberges, ziemlich genau gegenüber der Andreaskirche. Darüber hinaus wurde den Nonnen der ehemalige Volkenroder Hof überlassen, der sich ungefähr dort befand, wo wir heute die Kleine Ackerhofsgasse verorten.
1484 wurde in der Andreaskirche ein neuer Chor für die Nonnen geweiht. Seit dieser Zeit war die Kirche mit einer Spitztonne ausgestattet. Das am Hang des Petersberges neu gebaute Kloster wurde durch einen großen Schwibbogen über die Andreasstraße hinweg mit der Andreaskirche verbunden und die Westmauer dazu durchbrochen. Diesen Bogen kann man auch heute noch in aller Deutlichkeit erkennen.
1522 wurde die Kirche evangelisch. Der erste evangelische Pfarrer war Melchior Weidmann. Er war einer der Klosterbrüder von Martin Luther. Bis zur erneuten Verlegung des Nonnenklosters im Jahre 1688 wurde die Kirche noch von den Nonnen mitgenutzt, fanden also sowohl katholische als auch evangelische Gottesdienste unter einem Dach statt.
Heute erstreckt sich die Andreasstraße vom Domplatz bis zur Moritzwallstraße. Ursprünglich aber begann sie erst an der Marbacher Gasse. Der Teil von der Marbacher Gasse bis zur Marktstraße hingegen wurde Rubenmarkt genannt. Die lateinische Bezeichnung forum rapularum und forum raparum im 13. und 14. Jahrhundert spricht für die sehr alte Erfurter Rübsenkultur. Ruben war also gleichbedeutend mit Rubesamen (Rübsen Brassica Rapa), eine Form des Rapses, deren Erzeugnisse auf dem Rubenmarkt zur Ölgewinnung in den Ölmühlen verkauft wurden. 1686 sind die Häuser auf dem Rubenmarkt auf Befehl des damaligen Obersten de Morteigne auf dem Petersberg wegen der Festungsbauten abgerissen worden. Nach der Beschießung von 1813 wurden auch die letzten Häuser hier vernichtet und der Rubenmarkt wurde einerseits zum Domplatz und andererseits zur Andreasstraße gezogen.
Im Zuge der Straße befanden sich zwei Stadttore. Zum einen das innere Andreastor. Es befand sich etwa dort, wo die Glockengasse in die Andreasstraße mündet. Es wurde 1687, im Zusammenhang mit dem Ausbau der Zitadelle Petersberg abgebrochen, da es nun militärisch überflüssig und zu einem Verkehrshindernis geworden war. Eine brauchbare bildliche Darstellung ist nicht überliefert. Auf dem Plan von Merian um 1650 ist es allerdings gut zu erkennen.
Das 1375 errichtete äußere Andreastor befand sich etwa an der Stelle, wo die Andreasstraße heute mit der Blumenstraße, der Moritzwallstraße und der Nordhäuser Straße zusammentrifft.
Interessant ist auch, dass sich auf dem Grundstück an der Ecke zur Glockengasse einst der städtische Blidenhof befand, der Ort also, in welchem das Kriegsgerät der Stadt aufbewahrt und gewartet wurde. Blide ist eine andere Bezeichnung für Wurfgeschoss.
Im Andreasspeicher, nur unweit vom Blidenhof entfernt, hatte zu DDR-Zeiten die VEAB ihr Domizil. Die Abkürzung stand für „Volkseigener Erfassungs- und Aufkaufbetrieb“ und war eine Aufkaufstelle für die Erzeugnisse von Privatpersonen, zumeist Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten, aber auch tierische Produkte, wie Eier, Geflügel und Felle. Nach Entkernung und völligem neuen Innenausbau sind dort seit 2010 alte und gebrechliche Menschen Zuhause.
Unrühmlich ging es hingegen am anderen Ende der Straße zu, denn hier befindet sich seit 1875 ein Gefängnisbau, der als solcher bis 2002 genutzt wurde. Ein Teil dieser Gefängnisanlage wurde ab 1952 als U-Haftanstalt des MfS genutzt, deren Bezirksverwaltung im benachbarten Gebäude untergebracht war und das 1989 von der Erfurter Bürgerrechtsbewegung gestürmt wurde. Heute kann man sich in der 2012 eröffneten Gedenkstätte über diesen unrühmlichen Teil der Erfurter Stadtgeschichte informieren.
Wünschenswert wäre es, wenn die Bechtheimer Straße endlich wieder bis zur Weißen Gasse durchgängig wäre, wie es das ursprünglich einmal der Fall war.