Der fast vergessene Erfurter Goldschatz

Der fast vergessene Erfurter Goldschatz

20. März 2024
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Wilhelm Sturz war damals auf dem Gelände des ehemaligen Polizeigefängnisses „Zum Paradies“ vor dem Neubau des Erfurter Rathauses im Einsatz gewesen, als er beim Graben in der Erde in den Scherben eines Topfes auf den Schatz stieß. Er fand auf einem goldenen Untersatz ein großes Doppelgefäß, einen sogenannten Doppelkopf aus reinem Gold, gefüllt mit 70 goldenen Münzen und mehr als 100 Gewandbesatzteilen, ebenfalls pures Gold.

„Insgesamt wog der Schatz 2,089 Kilogramm“, sagt Dr. Maria Stürzebecher, Kuratorin der Alten Synagoge und Beauftragte für das UNESCO-Welterbe. Der heutige Goldwert? Rund 120.000 Euro. Der wissenschaftliche Wert? Unbezahlbar. Nur leider ist von dem ersten Erfurter Schatz bis auf eine römische Goldmünze und eine goldene Schließe nichts mehr erhalten.

„Der erste Erfurter Schatz wurde vermutlich um 1370 vergraben“, sagt Dr. Stürzebecher. Das Grundstück, auf dem er gefunden wurde, gehörte 1360 David von Arnstadt, einem jüdischen Geldhändler, der sich nur wenige Jahre nach dem mörderischen Pogrom von 1349 in Erfurt niedergelassen hatte. Und zwar wie andere jüdische Familien hinter dem alten Rathaus in der Judengasse, hier hatte der damalige Rat den Juden u. a. Häuser mit Gärten vermietet. „Der Besitzer muss wohlhabend gewesen sein“, sagt Dr. Stürzebecher, „die 2,089 Kilogramm Gold entsprachen damals knapp 600 Gulden – etwa dem sechshundertfachen Monatslohn eines Arbeiters.“ Und: „Der Wert deckt sich ziemlich genau mit dem für die jüdische Gemeinde in Mainz in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts vorgeschriebenen Brautgeld.“ Brautgeld – das wurde traditionell von der Familie des Bräutigams in Gold an die Braut gezahlt. „Das diente dazu, die Ehefrau sowie die gesamte Familie nach dem Tod des Ehemannes abzusichern.“ Aber auch im Falle einer Scheidung bedeutete das Brautgeld für die Ehefrau die finanzielle Unabhängigkeit.
Denn anders als in der christlichen Gesellschaft, in der Scheidung verboten war, konnten sich Juden auch
im Mittelalter scheiden lassen. Das betraf sowohl Männer als auch Frauen.

Dr. Maria Stürzebecher. Foto: Steve Bauerschmidt

Maria Stürzebecher: „Der Erfurter Brautschatz wurde offensichtlich nicht gebraucht und geriet in Vergessenheit.“ Und so lag er unbemerkt unter den Füßen der vielen Familien, die danach im Haus der von Arnstadts lebten. Bis er 1876 zufällig ausgegraben wurde. 122 Jahre später wurde an der Michaelisstraße wieder ein Schatz ausgegraben, der einem jüdischen Bankier gehörte – Kalman von Wiehe. Knapp 24 Kilogramm Silbermünzen und -barren, Silbergeschirr und mehr als 700, teilweise mit
Edelsteinen besetzte Einzelstücke gotischer Goldschmiedekunst. Prunkstück ist der einzigartige Hochzeitsring. Der (zweite) Erfurter Schatz wurde von seinem Besitzer wahrscheinlich vor dem Pogrom von 1349, bei dem die gesamte jüdische Gemeinde umkam, vergraben. Maria Stürzebecher: „Dass in einer Stadt gleich zwei so wertvolle jüdische Schätze gefunden wurden, ist wirklich ungewöhnlich und einzigartig.“ Als Stadt, die mit ihrem Jüdisch-Mittelalterlichen Erbe von der UNESCO in die Welterbeliste aufgenommen wurde, bedeuten sie natürlich besonders viel. „Wir vermuten dort, wo der erste Schatz gefunden wurde, also im Bereich hinter dem Rathaus, der Keimzelle der zweiten jüdischen Gemeinde,
weitere wichtige Funde für die Erfurter Stadtgeschichte.“

Das neue Erfurter Rathaus 1875. Rechts im Bild sind noch die Reste des Turms zu sehen, hinter denen wenige Monate später der Goldschatz (wie die römische Münze, heute im Münzkabinett Berlin, und der goldene Besatz s. o., heute im Kunstgewerbemuseum Berlin) gefunden wird

Denn dort, wo heute hinter dem Rathaus Autos parken, standen im Mittelalter Wohnhäuser dicht gedrängt. Außerdem erbaute dort der städtische Rat im 14. Jahrhundert für die zweite jüdische Gemeinde eine Synagoge, die nach der erzwungenen Abwanderung der Juden im 15. Jahrhundert als Zeughaus bis ins 18. Jahrhundert genutzt wurde und dann einem Stadtbrand zum Opfer fiel. Ihre Grundmauern wurden bei Erdarbeiten bereits an einer Ecke dokumentiert – und könnten künftig in einem Bildungs- und Informationszentrum zum Erfurter Welterbe
erschlossen werden und das touristische Angebot zur jüdischen Geschichte erweitern. Besonders wertvolle Befunde könnten sogar ebenfalls in die Welterbeliste eingetragen werden.
Übrigens: Der zweite Erfurter Schatz ist komplett erhalten und wird in der Alten Synagoge ausgestellt. Der
erste Erfurter Schatz wurde vermutlich zum aller größten Teil eingeschmolzen oder ist im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen: Als er gefunden wurde, schätzten die Wissenschaftler den Kunstwert des Schatzes leider nicht so hoch ein wie heute.


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