Die Energiewende in Erfurt

Die Energiewende in Erfurt

5. Juli 2023
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Das Nutzen von Erdwärme aus Schichten mehrere Kilometer unter unseren Füßen, der Einsatz gewaltiger Tauchsieder, Wasserstoffgewinnung mit grüner Windenergie, Biomasse und Wärmepumpen, Solaranlagen und Windräder – Wege zur sauberen Energiegewinnung gibt es viele. Die Umsetzung braucht Zeit und sie kostet Geld. Sehr viel Geld. Doch der Einsatz von alternativen Energien ist nicht nur gut für die Umwelt. Auf Dauer könnte dieser Einsatz erheblich kostengünstiger sein, als wenn durch Energieversorger weiter auf fossile Brennstoffe, wie zum Beispiel Gas, gesetzt wird. Die SWE Energie steht vor gewaltigen Aufgaben, um die ehrgeizigen Ziele, die sich das Unternehmen und die Politik gesetzt haben, zu verwirklichen.

SWE Energie – Chef Karel Schweng (links) und Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein vor der Gas- und Dampfturbinenanlage im Erfurter Nordosten.

Dass die Erde ein gewaltiges Heizkraftwerk ist, weiß jeder. Sie ist eine Energie-Quelle, die so gut wie nie versiegt. Die SWE Energie will diese Erdwärme unter unseren Füßen nutzen, um damit die Wärmeversorgung der Landeshauptstadt zu sichern. „Wenn wir damit Erfolg haben, dann wäre ein großer Teil unserer Energieversorgung für die nächsten Jahrzehnte klimaneutral gesichert“, sagt SWE Energie-Chef Karel Schweng. „So eine Anlage würde es uns ermöglichen, an 365 Tagen im Jahr Wärme und Strom zu gewinnen, unabhängig von Wind, Sonne und der politischen Weltlage.“ Die Idee klingt einfach: Tief unter der Erdoberfläche, so ab 2.000 Metern, liegt Granit – mehrere Kilometer mächtig.
Je tiefer man ins Erdinnere vordringt, desto wärmer wird es: Alle hundert Meter erhöht sich (theoretisch) die Temperatur des Gesteins um rund drei Grad. Bei 1.000 Metern wären es also 30 Grad, 2.000 Metern 60 Grad – und bei 5.000 Metern rund 150 Grad Celsius. Diese Energie zu nutzen, um damit zum Beispiel die Fernwärmeversorgung in Erfurt sicherzustellen, das ist das Ziel. Nur wie an diese Wärme kommen?
Das Ganze funktioniert, vereinfacht gesagt, so: Kaltes Wasser gelangt in mehreren Kilometern Tiefe in festen Granit, wird durch die Erdwärme erhitzt und kommt wieder an die Oberfläche, um dann schließlich in das Fernwärmenetz der Landeshauptstadt eingespeist zu werden. „Das ist ein anderes Prinzip als bisher, wo nach geologischen Anomalien gesucht und in der Tiefe vorhandenes heißes Wasser aus Sedimentschichten gefördert wurde“, sagt Karel Schweng. Also kein Fracking!

Gas- und Dampfturbinenanlage inkl. Wärmespeicher

Hochmoderne Bohrtechniken, die in den vergangenen Jahren entwickelt wurden, machen das Nutzen der Erdwärme in großer Tiefe möglich und, wenn alle Voraussetzungen stimmen, auch finanzierbar. Eine mögliche Technologie könnte eine mit rund 20cm Durchmesser senkrecht in die Tiefe geführte Bohrung sein, welche bei vier bis sechs Kilometer auf heißes Granit trifft, waagerecht abgelenkt wird und dabei zusätzliche Bohrungen im festen Gestein eine Art Fächer produzieren. Dann wird Wasser eingelassen, es strömt durch die erste Bohrung nach unten, erhitzt sich in dem Fächer tief unten im Gestein auf rund 130 Grad und gelangt schließlich durch die zweite Bohrung nach oben. Weil Wärme aufsteigt und Kälte
sinkt, braucht es nicht einmal eine Pumpe. Karel Schweng: „Das heiße Wasser wird den Temperaturen der Fernwärmeversorgung angepasst und in unser System eingespeist.“ Schweng: „Die Bohrtechnik hat in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht. Techniker können senkrechte Kernbohrungen zu beherrschbaren Kosten in große Tiefen führen.“ Auch waagerechtes Ablenken beim Bohren – kein Problem. Führend ist ein kanadisches Unternehmen für Bohrtechnologie. Übrigens: In Geretsried bei München wird diese Technologie schon genutzt. Die SWE Energie hat eine Machbarkeitsstudie in Auftrag
gegeben. Mit dabei: die geotechnik heiligenstadt GmbH, die Universität Jena, das Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz (Referat 81) und die kanadische Spezialfirma für Bohrtechnologie. Ziel ist es, gesichert herauszufinden, ob der Erfurter Untergrund für eine Tiefenbohrung geeignet ist und ob sich das Ganze wirtschaftlich trägt. Dazu werden unter anderem alle vorhandenen geologischen Daten ausgewertet, die wegen früherer Erdgasförderungen und Bergbautätigkeiten in Thüringen reichlich vorhanden sind.

So sieht die Erde unter unseren Füßen (siehe Bohrturm) aus. Huckriede (2000), TLUBN

Das Thüringer Becken liegt auf einer Art Granitsockel, der sich (theoretisch) bestens für die Geothermie eignet: „Doch zu 100 Prozent sicher ist das nicht. Wir brauchen eine Probebohrung, damit wir wissen, ob das Granitgestein, das wir anbohren wollen, auch die notwendigen Eigenschaften besitzt“, sagt Schweng. Bis zu 25 Millionen Euro würde diese Bohrung kosten. Die Geothermie-Anlage würde, wenn aufgrund der Ergebnisse der Probebohrung grünes Licht gegeben werden kann, im Nordosten der Landeshauptstadt errichtet – auf dem Gelände des Gas- und Dampfturbinenkraftwerkes, kurz GuD. Hier wird mit Gas nicht nur Strom erzeugt, hier wird auch ein Großteil der Wärme für die Fernwärmeversorgung produziert.
Ein rund 60 Meter hoher Bohrturm müsste errichtet werden und etwa anderthalb Jahre würde es dauern, bis die beiden senkrechten Bohrungen und der „Fächer“ im Granit fertig sind. Die Investitionskosten bis zur Inbetriebnahme liegen bei mehr als 100 Millionen Euro. Wird die Anlage gebaut, könnte sie im besten Falle ab dem Jahr 2026 rund 60 Megawatt Energie produzieren – das entspricht gut der Hälfte der
Fernwärmeenergie des ganzen Jahres, was die GuD mit Erdgasverbrennung für die Stadt Erfurt erzeugen muss. Die Laufzeit der Geothermie-Anlage wird auf 20 bis 100 Jahre geschätzt, die einzigen zusätzlichen Kosten würden in Form von Betriebskosten anfallen.

Ein weiteres Projekt in Sachen alternative Energie wird in den nächsten Monaten entstehen – ebenfalls auf dem Gelände der GuD. Ein gewaltiger Tauchsieder soll den Gasverbrauch des Kraftwerks senken und ein wichtiger Baustein in Sachen Energiewende werden. Power to Heat (Strom zu Wärme) heißt das Prinzip, das hinter dem Ganzen steckt. Und das funktioniert so: In einem Elektrodenkessel wird mithilfe von Strom kaltes Wasser erhitzt und das fließt, sobald die richtige Temperatur (ca. 95 Grad) erreicht ist, ins Fernwärmenetz. Die gesamte Anlage wird vom Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz finanziert, ein
Kooperationsvertrag wurde bereits unterzeichnet. Die Frage war: Wie kann man mit erneuerbaren Energien die CO2-Emissionen reduzieren, die durch das Beheizen von Gebäuden entstehen? Eine Möglichkeit in Städten mit Fernwärmeversorgung wie Erfurt ist die Power-to-Heat-Technologie (PtH). Dabei wird Strom aus Windkraftanlagen zur Erzeugung von „grüner Fernwärme“ genutzt. Und das gilt
vor allem für Zeiten, in denen dieser grüne Strom nicht über die Stromnetze abtransportiert werden kann. Hintergrund: Wenn die Windparks im Nordosten Deutschlands aufgrund von Starkwind viel Strom erzeugen und dieser nicht vollständig vor Ort verbraucht bzw. weitertransportiert werden kann, müssen Windräder zum Schutz der Stromleitungen und Umspannwerke vor Überlastung abgeregelt, also aus dem Wind genommen werden. Das heißt: Grüner Strom wird gar nicht erst produziert – obwohl die Windräder das hergeben könnten. Wie kann man also diesen grünen Strom dennoch produzieren und nutzen, ohne dass die Netze zusammenbrechen? Ganz einfach: Der Strom wird in einen Elektrodenkessel umgelenkt, der das Wasser erhitzt und dann in das Fernwärmenetz abgibt. Während der Elektrodenkessel in Betrieb ist macht das gasbetriebene Kraftwerk Pause. Somit entsteht ein doppelter Nutzen: Erneuerbare Energien werden besser ausgenutzt und zusätzlich wird die Verbrennung fossiler Brennstoffe reduziert.
Übrigens: Die Kooperation zwischen den SWE und 50Hertz beruht auf einer Regelung im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), die Ende 2023 ausläuft. Aufgrund dieser Regelung können Übertragungsnetzbetreiber die Kosten für die Errichtung von PtH-Anlagen übernehmen, wenn dadurch kostengünstig und effizient Netzengpässe beseitigt werden. Das ist in Erfurt der Fall, weshalb 50Hertz die Investitionen in die Anlage in Höhe von rund acht Millionen Euro schultert.

„Das Prinzip ‚Nutzen statt Abregeln‘ ist volkswirtschaftlich und ökologisch sinnvoll, weil das Potenzial der erneuerbaren Energien dadurch besser ausgeschöpft wird“, sagt Dr. Dirk Biermann, Geschäftsführer Märkte und Systembetrieb von 50Hertz. Und weiter: „In Erfurt entsteht die neunte PtH-Anlage, die Stadtwerke oder andere regionale Energieversorger in Kooperation mit 50Hertz errichtet. Insgesamt steht der Systemführung von 50Hertz damit in naher Zukunft ein Gesamtpotenzial von rund 200 Megawatt zur Verfügung, um Netzengpässe zu entschärfen und zugleich Strom aus Windkraftanlagen ins Gesamtsystem zu integrieren. Langfristig ist ein Vielfaches an PtH-Leistung erforderlich, um die Fernwärmenetze
klimafreundlich zu machen. Dafür muss der Gesetzgeber jedoch die entsprechenden regulatorischen Rahmenbedingungen schaffen.“
Zusätzlich plant die SWE Energie entsprechend ihrer „Wärmenetzstrategie 2040“, eigene Windkraftanlagen optional zu betreiben und diesen gewonnenen grünen Strom in weiteren Power-to-Head-Anlagen in Wärme für die Haushalte umzuwandeln. „Das kann den Erfurterinnen und Erfurtern eine
stabile und unabhängige Wärmeversorgung sichern“, sagt Karel Schweng, Geschäftsführer SWE Energie. Unterm Strich ist diese Methode, Wärme zu schaffen, auf Dauer günstiger, als weiter immer teurer werdendes Gas zu verheizen.

Fotos: Steve Bauerschmidt, Andreas Hultsch


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