Bedürfnisorientierte Erziehung, Helikoptereltern, Rasenmähereltern – in der Welt der Kindererziehung jagt eine Entwicklung die nächste. Viele der Veränderungen im Umgang mit Kindern sind begrüßenswert. An anderen Stellen wird zu Recht Kritik laut, weil die Erziehung zu unselbstständigen Kindern führt, während sich Eltern übernehmen oder sogar für den Nachwuchs aufgeben. Wo bleibt die goldene Mitte?
Geschützt, behütet und doch selbstständig erziehen
Wer bei Ausbildung oder Studium zum ersten Mal in die Verlegenheit gelangt, selbst die Wäsche zu waschen, hat zwei Möglichkeiten. Die Eltern anzurufen, ist eine davon. Eigenständig die Bedeutung der Wachssymbole auf den Etiketten zu recherchieren, ist die andere und bessere Option. Wie kommt es aber überhaupt, dass volljährige Menschen mit Schulabschluss vor einem derartigen Problem stehen? Wäsche waschen ist schließlich ebenso wenig Hexenwerk wie einfache Gerichte zu kochen.
Dennoch ist der erste eigene Haushalt für viele junge Menschen absolutes Neuland, weil ihnen in dieser Hinsicht viel zu lange, viel zu viel abgenommen wird. Immer noch sind es tendenziell vor allem die Mütter, die zwar Stillkreis, Krabbelgruppe, PEKiP, Babyschwimmen, musikalische Früherziehung und einen pädagogisch wertvollen und vor allem vollen Freizeitplan bei den Kindern wichtig finden, ihnen damit reichlich zumuten und dafür an anderen Stellen alles abnehmen. Sei es der Weg zur KiTa oder zur Schule zu Fuß, kleine Konflikte mit anderen Kindern oder die Hausaufgaben – selbstständige Beschäftigung wird häufig ebenso vernachlässigt wie kindgerechte Verpflichtungen im Haushalt.
Was für die Kinder anfangs bequem ist, kann später zum Problem werden. Als Erwachsene sind sie in grundlegenden Bereichen weiterhin auf Hilfe angewiesen. Das bezieht sich bei Weitem nicht nur auf praktische Fähigkeiten.
Wenn das Familienbett und Überbehüten zu Problemen werden
Dauertragen, Dauerstillen, ein Familienbett, das meist doch nur ein Mutter-Kind-Bett ist und jede negative Erfahrung aus dem Weg räumen – was als positive Bewegung in Richtung einer gewaltfreien, verständnisvollen und bedürfnisorientierten Erziehung begann, nimmt in vielen Familien und Bereichen extreme Formen an. Klare Verbote sind verpönt, stattdessen wird bereits mit dem Dreijährigen eine lange Diskussion darüber geführt, warum die Mama das nicht möchte. Nur, um am Ende doch dem Willen des Kindes nachzugeben.
Der Spruch „Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.“ bewahrheitet sich bei der Kindererziehung wieder und wieder. Erzieher, Lehrer und andere Experten bestätigen dies ebenso wie aktuelle Studien zur Unselbstständigkeit von Kindern. Wenn Kinder sich nicht die Schuhe zu binden können, mit Anfang der Pubertät noch immer im Bett der Mutter schlafen oder noch nie aus eigener Kraft ein Hindernis im Leben überwunden haben, wird von gelernter Hilflosigkeit gesprochen. Helikoptereltern und die Unterform der Rasenmähereltern meinen es zwar gut, erweisen ihren Kindern damit jedoch keinen Dienst. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Eltern selbst nicht als überbehütend begreifen. Hierzu fehlt oftmals die Reflektion.
Die goldene Mitte finden
Behüten, ohne dabei zu überbehüten, Freiräume, aber nicht im Stich lassen – es erscheint wie ein andauernder Balance-Akt und kann doch einfach sein. Grundlegend wichtig ist dabei, dass keine Kinder, sondern erwachsene Menschen erzogen werden. Diese sollen später möglichst problemlos im Leben zurechtkommen. Dafür benötigen sie eine verlässliche Basis. Sich allein und ohne Anleitung beschäftigen zu können, selbstständig Probleme zu lösen, Frust auszuhalten und nötige Aufgaben im Haushalt ohne Hilfe zu erledigen, hilft Kindern aber nicht erst im späteren Leben. Sie lernen dabei frühzeitig das Prinzip der Selbstwirksamkeit, das für ein gesundes Selbstbewusstsein entscheidend ist.