Im Historischen Seminar am Lehrstuhl für die Geschichte Westasiens der Universität Erfurt hat zum Sommersemester 2012 die Mustafa-Barzani-Arbeitsstelle für Kurdische Studien ihre Arbeit aufgenommen. Die Arbeitsstelle, die von Prof. Dr. Ferhad Ibrahim Seyder geleitet wird, beschäftigt sich mit der Erforschung der Geschichte der Kurden in Westasien seit dem 19. Jahrhundert. Ihr Name geht auf Mustafa Barzani (1903−1979) zurück, der 1946 die Kurdistan Democratic Party gegründet hat, bis 1976 ihr Vorsitzender und weithin beachteter kurdischer und irakischer Politiker war.
„Ich freue mich sehr, dass es gelungen ist, die Arbeitsstelle einzurichten“, erklärt Initiatorin Prof. Dr. Birgit Schäbler, Professorin für die Geschichte Westasiens an der Philosophischen Fakultät der Universität Erfurt. „Kurdische Studien nach Erfurt zu holen, das ist schon etwas Besonderes, denn in dieser Form ist die Arbeit in Deutschland einzigartig.“ Schwerpunktmäßig wird die Arbeitsstelle die Geschichte der Kurden im Osmanischen Reich und seinen vier Nachfolgerstaaten − Türkei, Irak, Iran und Syrien − in den Blick nehmen. Darüber hinaus befassen sich die kurdischen Studien mit den größeren kurdischen Gemeinschaften im Libanon und in Jordanien sowie den kurdischen Gemeinschaften in den ehemaligen sowjetischen Republiken Armenien, Aserbaidschan etc. Die Geschichte der kurdischen Diaspora, die sich durch die Arbeitsmigration und Fluchtbewegungen in Westeuropa ausgebildet hat, gehört ebenfalls zu den Kernpunkten der kurdischen Studien. Der Umstand, dass nichtislamische (Jezidis und Christen) und heterodoxe islamische Gruppen (Ahl-e Haqq, Kaka’iya, Schabak, Yarisan, Alaviten etc.) im Siedlungsgebiet „Kurdistan“ beheimatet und mystische Orden in Kurdistan verbreitet sind, macht dabei auch eine kulturgeschichtliche Beschäftigung mit der kurdischen Geschichte notwendig.
Die Verbreitung tribaler Organisation im genannten Siedlungsraum machte die Geschichte der Kurden schließlich zum Untersuchungssubjekt von großen Ethnologen des 20. Jahrhunderts. Diese Linie wird nun in Erfurt fortgeführt: Im Rahmen der Lehre und Forschung an der Mustafa-Barzani-Arbeitsstelle geht es unter anderem um die Kulturgeschichte der Kurden und der kurdischen religiösen Minderheiten und um die Geschichte der kurdischen Migration, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland. „Obwohl rund eine Million Kurden in Deutschland leben, gab es bisher noch keine Arbeitsstelle für kurdische Studien in Deutschland“, erklärt Prof. Dr. Ferhad Ibrahim Seyder. Mit seiner Arbeit möchte er zum einen den Schwerpunkt in der Öffentlichkeit etablieren und den Studierenden diese Nische mit all ihren Facetten zugänglich machen: „Wir wollen uns nach außen bekannter machen und unsere Kooperationen mit den anderen kurdischen Institutionen in Europa und dem Nahen Osten ausbauen“.
Prof. Dr. Ferhad Ibrahim Seyder ist Kurde. Er studierte an der Freien Universität Berlin als Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes Politikwissenschaft und promovierte 1983 über die kurdische Nationalbewegung im Irak. Von 1987 bis 2000 war er Assistenzprofessor für Politik- und Zeitgeschichte an der FU Berlin. An der Universität Erfurt war er von 2000 bis 2002 Dozent für westasiatische Geschichte. Von 2004 bis 2010 war er Professor für Zeitgeschichte an der Universität von Jordanien und Vertreter des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Amman. Im Wintersemester 2010/11 forschte Seyder am Lehrstuhl für Geschichte Westasiens an der Universität Erfurt. Nun wurde ihm die Leitung der Mustafa-Barzani-Arbeitsstelle für Kurdische Studien übertragen.