Kurz vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft 2014 hat die Universität Erfurt eine aktuelle Studie über die deutsche Auslandsberichterstattung über Brasilien veröffentlicht. Die Untersuchung wurde von Regina Cazzamatta verfasst und von Prof. Dr. Kai Hafez betreut. Die Autorin hat dafür 431 Artikel der überregionalen deutschen Presse – Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, die tageszeitung, Die Welt, Der Spiegel, Die Zeit, Stern und Focus – aus den Jahren 2010 bis 2012 untersucht und deren Inhalt qualitativ wie quantitativen analysiert.
Dass Brasilien einen annähernd ausgeglichenen Staatshaushalt, niedrige Schulden, fast Vollbeschäftigung aufweist und dabei ist, Frankreich und Großbritannien zu überholen und unter die fünf führend Wirtschafsmächte der Welt vorzustoßen, zieht sich wie ein Mantra durch die deutsche Presse: Das erfolgreiche wirtschaftliche Wachstum Brasiliens sowie dessen Schattenseiten, die Umweltzerstörung, hat die deutsche Presse in den jüngeren Jahren also zur Kenntnis genommen. Allerdings sind Entwicklungen, die nicht relevant für die deutsche Politik und Wirtschaft sind, wie die soziale Ungleichheit, auch weitaus weniger beachtet. Die deutsche Öffentlichkeit war deshalb auch völlig überrascht von den jüngsten heftigen brasilianischen Protesten im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft, deren Kraft und Gewalt viele in Deutschland nach wie vor erschreckt.
Die deutsche Brasilienberichterstattung hat den deutschen Konsumenten offenbar nicht umfassend genug über die Lage in Brasilien informiert. Ein Hauptergebnis der Untersuchung ist, dass der Bereich der Innenpolitik nur 15,6% der gesamten Berichterstattung über Brasilien entspricht, was im Vergleich zu anderen Regionen der Welt untypisch ist. Themen aus den Bereichen Umwelt (15,9%) und Wirtschaft (18,5%) haben die politische Berichterstattung über Brasilien verdrängt. Deutschen Bürgern fehlen auf diese Weise oft wichtige und kritische politische Hintergründe.
Während das Brasilienimage im Bereich Umwelt unter heftiger Kritik leidet, ist der Ton in den Bereichen Politik und Wirtschaft ein ganz anderer: Der wirtschaftliche Erfolg Brasiliens wird in den Bereichen Ökonomie und Finanzen, Innen- und Außenpolitik überwiegend gelobt, aber im Sachgebiet Umwelt ist das dargestellte Wachstum für die Umweltschäden und Rücksichtslosigkeit verantwortlich. Die überwiegende kritische Haltung gegenüber dem Umgang Brasiliens mit der Umwelt fehlt oft im Bereich der Politik.
Während deutsche Medien bis vor kurzem noch den Aufstieg des brasilianischen Bürgertums feierten, verglich der brasilianische Wissenschaftler, Marcio Pochmann, der Präsident des brasilianischen Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IPEA), das Land mit einer feudalen Gesellschaft, vor allem wegen grassierenden sozialen Ungleichheit. Die Tatsache, dass Brasilien auch unter der Regierung Lula, einer linksorientierten Regierung, keine Agrarreform, Steuerreform oder Sozialreform durchführte und dass in der Regel die Reichen des Landes und das Finanzkapital von der Finanzpolitik der Regierung profitiert haben, spielte laut der nun vorliegenden Studie für deutsche Medien kaum keine Rolle.
Regina Cazzamatta resümiert: „Da Medien die Weltvorstellungen der Rezipienten mitbestimmen und großen Einfluss auf internationale Beziehung haben, ist es notwendig, über das journalistische Brasilienbild gerade im Kontext der Fußballweltmeisterschaft intensiv nachzudenken.“