Runde 15 Minuten hinterließen zerstörte Dächer, kaputte Autos, umgestürzte, entwurzelte Bäume, überflutete Straßen, vollgelaufene Keller. „Ich glaube, keiner von uns hat so etwas jemals hier bei uns erlebt. Dieses schier unfassbare extreme Wetterereignis hat eine Schneise der Verwüstung durch Erfurt geschlagen“, resümiert am Morgen danach Oberbürgermeister Andreas Bausewein. Konkrete Warnungen, die dies so hätten vorgesagt, gab es nicht. Noch Minuten davor deuteten Wetterapps auf weitaus Glimpflicheres hin. „Die Bilder von gestern Abend werden sich einbrennen, die Sachschäden sind bei weitem noch nicht zu beziffern. Aber die gute Nachricht im Unglück ist, es gibt nur zwei leicht verletzte Personen. Alles Materielle kann man ersetzen, auch wenn es mit Aufwand, Mühe und Geld verbunden ist und bei den Betroffenen Erschütterung hinterlässt, aber ein Menschenleben ist unersetzbar“, so der OB weiter.
Die Stunden danach waren geprägt von einem koordinierten Einsatz aller beteiligten Kräfte vonseiten der Stadt, der Polizei und der Rettungsdienste. Aber auch von großer Solidarität in den Reihen der Erfurterinnen und Erfurter. Bausewein weiter: „Ich danke allen, die bis in die Nachtstunden im Einsatz waren, um die Lage in den Griff zu bekommen. Mein Dank gilt aber auch den vielen Erfurterinnen und Erfurtern, die geholfen haben, wie und wo sie konnten, die uneigennützig Nachbarschaftshilfe geleistet oder Rettungskräfte unterstützt haben. Diese Solidarität ist aller Ehren wert und kann nicht hoch genug gelobt werden. In Ausnahmesituationen stehen die Erfurterinnen und Erfurter zusammen, das ist ein wertvolles Gut!“
238 Einsätze in fünf Stunden
Das Unwetter kam vom Westen und zog gen Osten über Erfurt. Besonders betroffen Hochheim, Bischleben, Messe und Ega, das Borntal, Teile der Andreasvorstadt, die Brühlervorstadt und das Dichterviertel. In dieser besonderen Lage wurde unverzüglich der Stab „Außergewöhnliche Ereignisse“ einberufen, „so war ein präzises und schnelles Handeln möglich“, schätzt Erfurts Sicherheitsbeigeordneter Andreas Horn ein. Im Lagezentrum des Gefahrenschutzzentrums in Marbach wurden ab 18 Uhr durch die Leitstelle 238 Einsätze für den Bereich Erfurt, Sömmerda und Weimar koordiniert, 172 davon in Erfurt. Um 00:45 Uhr wurde die Erfurter Feuerwehr wieder in den Normalbetrieb versetzt.
„Bis dahin waren die Kameradinnen und Kameraden beider Wachen unserer Berufsfeuerwehr im Einsatz, die Freiwilligen Feuerwehren waren nahezu im Vollalarm und mit 180 Personen aktiv. Die eingehenden Schadensmeldungen wurden nach Prioritäten abgearbeitet, das war ein Kraftakt! Ich danke allen, die gestern und heute Nacht im Einsatz waren“, so Horn weiter. Einmal mehr habe sich gezeigt, dass Berufsfeuerwehr und Freiwillige Feuerwehren eine Einheit sind, die von unschätzbarem Wert ist. Zudem hob Horn das koordinierte Handeln mit der Polizei und den Rettungsdiensten hervor, denen ebenfalls großer Dank gelte.
Horn weiter: „Zudem möchte ich mich bei den Erfurterinnen und Erfurtern bedanken, die gestern sehr viel Verständnis und Geduld zeigten. Denn wir waren gezwungen, Prioritäten zu setzen.“
Massive Schäden im Baumbestand
Am Tag danach bleiben die verheerenden Bilder, die Aufräumarbeiten gehen weiter. Aktuell sind Teams aus verschiedenen Ämtern unterwegs, um alle Schäden aufzunehmen. Bilder von entwurzelten, zerbrochenen Bäumen prägen die Teile der Stadt, in denen das Unwetter wütete. „Vor allem alter Baumbestand wurde dabei massiv beschädigt“, weiß Stephan Wunder vom Garten- und Friedhofsamt. Wie hoch der Schaden ist, lässt sich aktuell noch nicht beziffern, dagegen steht fest: eine Versicherung, die Bäume ersetzt, gibt es nicht.
Auch seine Mitarbeiter waren bis tief in die Nacht im Einsatz, verstärkt durch die Feuerwehr, das Team des städtischen Bauhofs und externe Firmen. „Wir müssen ebenfalls Prioritäten setzen, haben zuerst Verkehrswege freigeräumt, konzentrieren uns jetzt auf Spielplätze, dann sind die Parkanlagen dran.“ Besonders betroffen seien der Nordpark und der Luisenpark. Der Hauptfriedhof hingegen blieb weitestgehend verschont.
Sein Appell an die Erfurterinnen und Erfurter: „Bitte achten Sie auf unsere Sicherungsmaßnahmen und begeben Sie sich nicht in Gefahr. Noch immer können Äste herabstürzen.“
Im Stadtgebiet von Erfurt gibt es 110.000 Bäume. Sie werden einmal jährlich in Bezug auf die Verkehrssicherheit kontrolliert. Aus dieser Kontrolle ergeben sich ggf. Maßnahmen – wie z. B. Totholz entfernen oder Einkürzen von Kronenteilen – danach sind sie wieder verkehrssicher. „Das heißt, dass wir mit gutem Gewissen davon ausgehen können, dass unter normalen Wetterbedingungen keine Gefährdung von den Bäumen ausgeht. Das gilt bis Beaufort 8 (stürmischer Wind). Alles was darüber hinausgeht ist höhere Gewalt und nicht vorhersehbar. Unsere Kontrolleure sind hoch qualifiziert und, was fast wichtiger ist, verfügen über die nötige Erfahrung. Dennoch gibt es Ereignisse, die nicht vorhersehbar sind, dazu zählen solche extremen Wetterereignisse wie gestern“, so Wunder weiter.
Baum stürzt auf den Egapark-Express
Auch im Egapark verursachte das Unwetter massive Schäden. „Ich habe mit einem Mitarbeiter gesprochen. Der sagte, dass er ein solch heftiges Ereignis in den vergangen 50 Jahren als Mitarbeiter im Egapark nicht erlebt hat“, sagt die Egapark-Geschäftsführerin Kathrin Weiß. Im gesamten Egapark stehen 2.400 Bäume. Die Ironie des Schicksals ist, dass die jährliche Baumbegutachtung eigentlich wenige Stunden vor dem Unwetter beendet war. „Das ist nun alles über den Haufen geworfen und wir müssen erst einmal die Schäden begutachten und aufräumen“, so Weiß. Die schwersten Beschädigungen gab es im Bereich zwischen dem Deutschen Gartenbaumuseum und dem Zugang am Gothaer Platz. Dort fiel auch ein Baum auf das Sibyllentürmchen. Außerdem fiel ein 90 Jahre alter Götterbaum von 25 Metern Höhe in der Nähe der Eismanufaktur auf den Egapark-Express. „Wir sind froh, dass unser Fahrer und Kollege von der Evag keinen körperlichen Schaden erlitten hat“, betont Weiß. Gebäude wurden nach bekanntem Stand nicht beschädigt. Da der Egapark die entstandenen Schäden aus eigenen Mitteln finanzieren muss, ruft die Geschäftsführerin zu einer Spendenaktion auf der Internetseite des Egaparks auf. Bis morgen muss der Egapark komplett und im Anschluss noch teilweise gesperrt bleiben, so Weiß.
Oberleitungen der Straßenbahnen massiv beschädigt
Michael Nitschke, Betriebsleiter der Evag, bestätigte, dass in direkter Folge des Unwetters kein regulärer Fahrbetrieb mehr möglich war. Reihenweise waren Äste oder ganze Bäume auf Oberleitungen gefallen. „Um diese Schäden zu beheben, müssen wir den Fahrstrom abstellen und somit kommt der gesamte Nahverkehr zum Erliegen“, erklärt Nitschke. Auch in der Hauptbahnhof-Unterführung ging lange nichts, weil dort der Wasserstand zeitweise bis zu 20 Zentimetern anstieg. An den Fahrzeugen gab es kaum Schäden, nur eine Scheibe einer Straßenbahn sei zu Bruch gegangen. Besonders betroffen ist der Streckenabschnitt von der Innenstadt zum Messegelände. Ein Teilabschnitt entlang der Domstraße konnte bis zum Mittag wieder freigegeben werden. Entsprechender Schienenersatzverkehr war und ist eingerichtet. „Ich danke unseren Mitarbeitern, die teilweise Stunden in den Fahrzeugen ausharren mussten und auch einigen Anwohnern, die unseren Fahrern Getränke oder in einem Fall sogar eine Pizza gebracht haben“, so Nitschke.
Schulen und Kindergärten weitgehend intakt
Kurz vor Beginn des neuen Schuljahres liegen auch auf vielen Schulhöfen abgeknickte Äste und umgestürzte Bäume. Arne Ott, Leiter des Amtes für Gebäudemanagement, kann aber Entwarnung geben: „Kein Schulgebäude wurde ernsthaft beschädigt. Der Schulbetrieb kann planmäßig kommende Woche starten. Auch der Baum, der auf das Königin-Luise-Gymnasium an der Melanchthonstraße gestützt ist, hat keine starken Schäden verursacht“, sagt er. Auch die kommunalen Kindertagesstätten konnten und können demnach im regulären Betrieb weiterlaufen. Bei vielen aber bleiben vorerst die Außenanlagen geschlossen. Insgesamt verwaltet sein Amt 600 Gebäude in der Stadt. Bis auf vereinzelte Wassereintritte und herabgestürzte Dachziegel gebe es keine Schäden. Auch die laufenden Baustelleneinrichtungen seien vom Unwetter verschont geblieben.